Seit meiner Kindheit liebe ich Papierwarenhandlungen. Das kleine Geschäft der Frau Ortner am Eck, in dem es nur Schulhefte und eine kleine Auswahl an Füllfedern, Kugelschreibern und Stiften gab, handelte unter der Budel auch mit "Heftln" genannten Comics, lange bevor es "Romanschwemmen" gab. Größere Papierhandlungen bedienten neben dem Schulbedarf auch die künstlerische Ader mit Dingen wie Buntpapier, Wasserfarben und Pinseln, Ölkreiden und Aquarellpapieren, Linealen, Dreiecken, Zirkeln und Reißzeug – wunderschöne, mit Samt ausgelegte Kassetten für technisches Zeichenwerkzeug wie den unentbehrlichen Zirkel.

Ein Taschenkalender und ein Notizbuch, eine Heftmaschine und ein Klammerentferner
Desksharing und Homeoffice haben die Spuren der analogen Bürovergangenheit gründlich getilgt. Zu Recht?
H. Spudich

Im Berufsleben verlagerte sich das Interesse naturgemäß zu Büromaterialien und Büromaschinen. Schreibmaschinen waren das Statusobjekt im Büro, die IBM-Kugelkopfschreibmaschine mit ihren auswechselbaren Schriftarten die Königin der Schreibmaschinen. In der wohlsortierten Schreibtischschublade durften mehrere Papiersorten nicht fehlen, vom vorgedruckten Papier mit Briefkopf und den Folgeblättern zum einfachen Schreibmaschinenpapier, Blaupapier und dünnem Durchschlagpapier in unterschiedlichen Farben zur einfacheren Verteilung.

"Durchschlag ergeht an", der Zusatz am Ende des Briefes, "carbon copy:" die englische Ausdrucksweise, woraus sich ganz blaupapierlos cc: und bcc: (blind carbon copy, Mitwisser, über die der Empfänger nicht informiert wurde) in das digitale Zeitalter retteten. Mehr als vier oder fünf Durchschläge waren unpraktikabel, was die Verteilung automatisch auf ein vernünftiges Maß begrenzte.

Wer tippt, macht Fehler, dagegen durfte das Tipp-Ex-Papier zur Korrektur nicht fehlen. Zur Erläuterung für Gens X bis Z: ein kleines, auf einer Seite weiß beschichtetes Blättchen, mit dem der falsche Buchstabe nochmals zum Anschlag gebracht wurde, woraufhin die weiße Farbe den Fehler überdeckte und der richtige Buchstabe darüber getippt wurde. Klingt mühsam? War es auch. Tipp-Ex gab es auch flüssig, für großflächigere Korrekturen. Später – geniale Innovation – verwendeten Schreibmaschinen Kohlebänder statt Textilbändern, und Tippfehler konnten mithilfe eines Korrekturbandes vom Papier entfernt werden. Die Delete-Taste war geboren.

Locher, Hefter, Klammern

Heftmaschinen und Büroklammern zum Zusammenhalten mehrerer Blätter Papier waren für die tägliche Schreibtischarbeit unerlässlich, sowie (Achtung, Wokeness-Triggerwarnung!) die Schwiegermutterzange, um Heftklammern entfernen zu können, und Locher, um das Papier seiner finalen Bestimmung der Ablage in einem Ordner oder Hängeordner zu übergeben. Erinnerungen daran finden sich in der Struktur virtueller Ordner (Files) am Computer oder dem Büroklammer-Icon im Mailprogramm.

Kalender! Was für eine Vielfalt an Terminsystemen das Taylor’sche Zeitmanagement ins Büro bringen sollte. Es gab Taschen- und Tischkalender, ein beliebtes Werbegeschenk, mit dem Wochenüberblick oder dem ausfaltbaren Monatsüberblick in schmalen Zeilen. Für Fortgeschrittene unverzichtbar die Quo-Vadis- oder Time-Systems-Terminplaner, für die Lässigen hingegen der englische Filofax mit seinem schier unerschöpflichen Sortiment an sechsfach gelochten Einlagen und einem Speziallocher für eigene Einlagen. Blätter für den Tag, für die Woche, für das Projektmanagement, für die Buchhaltung, faltbare Stadtpläne für die Reiseplanung, Formulare für die Reisespesen, ein unerschöpfliches Sortiment. Dazu immer neuen Folios in edlem Leder oder Kunststoff für Filofax-Aficionados.

Filofax hat es geschafft, den digitalen Ansturm der Microsoft-Kalendereinladungen zu überleben, und blüht heute in größerer Vielfalt als zuvor (z. B. der Classic-Croc-Organizer in Cherry-farbenem Krokodilleder und Standardfüllung in Cotton-Cream-Papier mit Lineal um 306 Euro). Dazu die Reminder-App, ein Paradoxon: Der handschriftliche Eintrag im Filofax wird zusammen mit einem QR-Code für das Datum mit dem Handy gescannt, am Handy kategorisiert und dann als Erinnerungsfunktion im Apple- oder Google-Kalender gespeichert. So geht hybride Innovation.

In der Kleinwerkstatt

In meiner journalistischen Kleinwerkstatt für NGO-Magazine fanden sich zahlreiche andere, heute vermissten Dinge: hellblaue Spezialstifte, um unsichtbare Layoutmarken für den Schwarz-Weiß-Kopierer oder Offsetdruck zu setzen, Barytpapier mit höherem Kontrast für den Schreibmaschinensatz (nicht jede kleine Zeitschrift konnte sich teuren Bleisatz oder Lichtsatz leisten), große und kleine Geodreiecke für die Klebemontage des Umbruchs – und das unverzichtbare Letraset: Buchstaben zum Abreiben für die Titelschriften. Schon das Studium des Schriftkatalogs war eine Freude.

Ein grüner Locher vor weißem Hintergrund
Papier, Locher und Heftklammern – all das gehört nun der Vergangenheit an. Dabei könnten sie auch ein verlockendes Angebot sein.
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Der Luxus der erschwinglichen Medienproduktion war ein gebrauchter IBM-Composer, eine Art Kugelkopfschreibmaschine, die dank Proportionalschrift (drei Spaces für ein "i", neun Spaces das "m") richtigen Schriftsatz in verschiedenen Schriftarten herstellen konnte (so erblickte auch der frühe Falter das Licht der Medienwelt).

Diese Welt der analogen Sinnlichkeit ist aus unserem Büroalltag verschwunden. Schuldig im Sinne der Anklage: Wir haben sie selbst mit Begeisterung Stück um Stück verbannt. Der Taschenrechner verdrängte den Rechenschieber, die Tipp-Ex-lose Textverarbeitung am PC die Schreibmaschine, Inkjets und Laserdrucker den Klebeumbruch für Kopiervorlagen. Kalender und Adressbuch: längst digital.

Trophäen des Analogen

Dabei gibt es sie alle noch, die Trophäen der analogen Zeit. Online ist alles erhältlich, vom Tipp-Ex (zehn Blatt um 26,63 Euro) und Lift-Off-Korrekturband (12 bis 17,14 Euro für ein 5er-Pack) bis zum Blaupapier (ab 5,17 Euro für zehn Stück A4), vom Terminplaner (ab zehn Euro) bis zu Abreibebuchstaben (Letraset gab 2012 auf, andere Hersteller ab 4,64 Euro). Die Zahl der Papierwarenhandlungen ist stark reduziert, dafür sind die verbliebenen Geschäfte wahre Tempel analoger Gestaltung.

Mein Lieblingsmarkt (in Wien und Graz) für alles vom einfachen Kopierpapier bis zu japanischen Washi-Papieren, Stiften und Zubehör und Locher und Hefter und Mappen aller Art bis zur künstlerischen Komplettausstattung füllt Baumarkt-artige Hallen.

Der Zug der Zeit

Jedoch hat die Ideologie von Clean Desk, Desksharing und Neuem Arbeiten in den vergangenen Jahrzehnten die Spuren unserer analogen Vergangenheit gründlich getilgt. Im besten Fall bleibt ein kleiner Trolley, in dem das Notebook, ein paar Ausdrucke und Hefter und Büroklammern versperrt sind, um keine Sehnsüchte nach einem eigenen Schreibtisch aufkommen zu lassen, auf dem Papier und Kalender liegen bleiben könnten und in dessen Schubladen sich womöglich bunte Stifte sammeln.

Nur in einem kleinen, streng abgezirkelten Unternehmensreservat darf sich analoge Kreativität etwas entfalten: in Seminaren und Workshops zertifizierter Trainerinnen und Trainer. Diese packen dann aus ihren geheimnisvollen Zauberkoffern bunte Papiere und bunte Stifte, mit bunten Stecknadeln und Post-it-Notizen. Für gute Ideen, die hoffentlich rasch neuen Ertrag bringen, darf – natürlich nur im Seminarrahmen –sogar gescribbelt und gezeichnet werden. Am Ende abfotografiert, in Powerpoint-Protokolle verpackt und im virtuellen Ordner abgelegt, das Papier rasch wieder entsorgt.

Nehmen wir es trotzdem als Zeichen der Hoffnung, dass nach der Wiederentdeckung von Vinyl, Polaroid und analogem Film vielleicht auch im Büro eine analoge Renaissance blühen könnte. Filofax, bunte Stifte und Schreibtischunterlagen für Notizen und zum Scribbeln, samt eigenem Schreibtisch, wären vielleicht ein Angebot, um Menschen vom Homeoffice wieder ins gute, alte Büro zu locken. (Helmut Spudich, 5.5.2024)