Tanzquartier Rakete
Ewa Dziarnowska huldigt als Tanzkünstlerin dem historischen Konzeptualismus – und vernachlässigt darüber keineswegs die Neigung zum Narzissmus.
spyros rennt

Was passiert, wenn man den sympathischen Ohrwurm What the World Needs Now Is Love von 1965 gezählte siebzehnmal innerhalb eines dreistündigen Tanzstücks vorgespielt bekommt? Explodiert das Gemüt wie eine Space-X-Rakete, oder kehrt tiefinnerliche Seligkeit ein ins Herz?

Weder noch. Denn die Tänzerin-Choreografin Ewa Dziarnowska arrangiert diese Wiederholungen äußerst rational als Einstieg und Ausklang ihrer Performance This resting, patience. Dieser Nachhall der in den 1990ern revolutionär gewesenen konzeptuellen Choreografie bildete am Wochenende den Auftakt der aktuellen Ausgabe des Rakete-Nachwuchsfestivals im Tanzquartier Wien.

Geschickt verbindet Dziarnowska zusammen mit ihrer Bühnenpartnerin Leah Marojević den historischen Konzeptualismus mit dem Narzissmus von heute. Zwei Frauenfiguren lassen sich in erlesener Dramaturgie durch widersprüchliche Gefühlslagen treiben. Sie tanzen in wechselnden Stilen und Körperdekorationen, zitieren weibliche Klischees, beschwören erotische Stereotype.

Künstlich lässig

Durch wiederholtes Rearrangieren der Zuschauersessel ziehen sie ihr Publikum eng an sich heran, ohne es direkt in ihre Aktivitäten zu involvieren. Zwischen Ohrwurm-Pro- und -Epilog wird die Musik ab und zu härter, dringt Hundebellen durch, und die beiden Tänzerinnen schauen einander oft taxierend in die Augen.

In einer solistischen Passage gegen Ende von Stunde zwei beginnt Dziarnowska zu schreien. Kein Wunder, denn der periodische Kostümwechsel zwischen künstlicher Lässigkeit und billiger Eleganz lässt den beiden Figuren kaum Spielraum für ein differenziertes Dasein.

Am Ende ist alles ein etwas ambivalenter, überwiegend lasziver Traum gewesen, der fern von den Konflikten der Gegenwart grandios in ein Land des Lächelns führt. Kommendes Wochenende geht das Festival weiter, unter anderem mit Agnes Bakucz Canários stimmintensivem und spirituellem Solo Sadis-Rose. (Helmut Ploebst, 5.5.2024)